Betriebsausgaben SG Gießen - S 28 AS 816/12 -

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Günter
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Betriebsausgaben SG Gießen - S 28 AS 816/12 -

#1

Beitrag von Günter »

http://www.alg-ratgeber.de/selbststandi ... 16339.html

Ein Urteil wie eine Backpfeife für das JC.

Da bildet sich ein SB in seiner Eigenschaft als Herrscher über die selbstständigen Aufstocker ein, er hätte ein Genehmigungsrecht über die Möglichkeit der Anmietung von Gewerberäumen.
Eine Zustimmung zur Anmietung hätte der Beklagte daher aus Gründen der Wirtschaftlichkeit und der Bewahrung vor Schulden nicht erteilt. Seite 3 letzter Absatz
Mal abgesehen von der Frage, ob ein Fitnesstrainer sein Klientel im Park oder bei schlechtem Wetter im Wohnzimmer trainieren soll, stellt das Gericht fest, es gibt keine gesetzliche Handhabe so eine Genehmigung überhaupt in Erwägung zu ziehen.

Dazu wird auch ein Urteil des SG Berlin https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/es ... &id=174763 erwähnt, dass dem JC eben kein Mitspracherecht einräumt
Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist in dem noch streitigen Umfang begründet.

§ 3 Abs. 3 Alg II-VO gibt dem Beklagten zwar die Befugnis, tatsächlich entstandene Betriebsausgaben bei der Ermittlung des anrechenbaren Einkommens aus selbständiger Tätigkeit unberücksichtigt zu lassen, Maßstab für eine solche Vorgehensweise ist jedoch nach Wortlaut und Zweck eine Missbrauchsabwehr: Es soll verhindert werden, dass die Hilfebedürftigkeit über ein offensichtlich unangemessenes Ausgabeverhalten aufrechterhalten wird.

Das BSG vom 5.6.2014 – B 4 AS 31/13 R hat dies jüngst bekräftigt und z. B. Leasingraten für ein Mittelklassefahrzeug bei einem Einkommen im Minijobbereich als vertretbar angesehen.

In einer Entscheidung des LSG München vom 7.12.2009 – L 11 AS 690/09 B ER
https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/es ... &sensitive

In diesem Zusammenhang verkennen die Beteiligten, dass § 3 Abs 3 Alg II-V (idF des Gesetzes vom 18.12.2008 BGBl. I S. 2780) keine Rechtsgrundlage dafür bietet, Anschaffungen eines selbständig tätigen Leistungsempfängers vorab - iS einer Genehmigung oder Ablehnung - zu kontrollieren. Die Frage der Anschaffung von Gütern für betriebliche Zwecke obliegt allein der Verantwortung des Leistungsempfängers, und der Leistungsträger hat lediglich ein nachgehendes Prüfungsrecht, ob die getätigten Investitionen mit dem Bezug von steuerfinanzierten Sozialleistungen in Einklang zu bringen oder ob offenkundige Manipulationen zu Lasten der Sozialkassen zu belegen sind. Lediglich in letzterem Fall hat der Leistungsträger die Befugnis tatsächliche Aufwendungen unberücksichtigt zu lassen, wohingegen allein die Zweckmäßigkeit der betrieblichen Mittelverwendung seitens des Leistungsträgers nicht zu kontrollieren ist. Dies ist allein das Privileg aber auch das Risiko des Unternehmers, d.h. des Leistungsempfängers, der demgegenüber dann auch nicht damit gehört werden kann, dass seine Einnahmen Schwankungen unterworfen seien, die der Leistungsträger, d.h. der Steuerzahler auszugleichen habe. Dies obliegt allein dem selbständig tätigen Leistungsempfänger, denn das Risiko eines Unternehmers drückt sich typischerweise in Schwankungen des Betriebsergebnisses aus, die der ASt - wie jeder nicht von Sozialleistungen abhängige Unternehmer - eigenständig durch zweckmäßige Mittelverwendung im Laufe eines Geschäftsjahres auszugleichen hat, um seinen Beitrag zu seinem Lebensunterhalt zu erbringen. Diesem Grundgedanken der Verteilung des unternehmerischen Risikos trägt auch die Regelung des § 3 Alg II-V in ihrer Gesamtheit Rechnung.
wird zutreffend darauf abgestellt, ob die Ausgabe aus Sicht eines verständigen, wirtschaftlich handelnden Selbständigen vertretbar ist. Keinesfalls könne sich das Jobcenter mit Sparvorschlägen an die Stelle des Selbständigen setzen.

Das liegt abgesehen von fehlender Sachkenntnis (z. B. über den Markt für Notebooks mit dem benötigen Einsatzprofil) auch aus Haftungsgründen auf der Hand. Das Jobcenter könnte nur dann ein (günstigeres) Produkt der Marke X empfehlen, wenn es im Fall einer Reklamation oder eines Schadens für diesen Rat aufkommt.

Das ist mit § 3 Abs. 3 Alg II-VO sicher nicht gewollt und auch gar nicht umsetzbar.

Eine Prüfung mit dem vom BSG, a.a.O. entwickelten Maßstab lässt hier keinen Spielraum, die tatsächlichen Ausgaben zu kürzen oder ganz außer Betracht zu lassen.

Was ich immer wieder sage, das JC hat keinerlei Befugnis Betriebsausgaben vorab zu genehmigen noch nachträglich nicht anzuerkennen, wenn sie nicht völlig und deutlich erkennbar aus dem Rahmen einer wirtschaftlich vertretbaren Betrachtungsweise fallen.
Warnhinweis: Einige meiner Beiträge können Spuren von Ironie enthalten.

Ich könnte freundlich, aber wozu? :6:
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Koelsch
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Re: Betriebsausgaben SG Gießen - S 28 AS 816/12 -

#2

Beitrag von Koelsch »

:jojo: :jojo:
Frei nach Hanns-Dieter Hüsch, ist der Kölner überhaupt zu allem unfähig. Er weiß nix, kann aber alles erklären.
Deshalb kann von mir keine Rechtsberatung erfolgen, auch nicht per e-mail oder PN.
Olivia Cole
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Re: Betriebsausgaben SG Gießen - S 28 AS 816/12 -

#3

Beitrag von Olivia Cole »

Zitat Jobcenter: "Mit der erst nachträglich bekannt gewordenen Anmietung habe der Kläger auf das Gröbste gegen jede kaufmännische Vernunft gehandelt. [...] Es sei auch keine Zustimmung des Beklagten zur Anmietung der Räume eingeholt worden."
Auch das hat das Sozialgericht mit einer schallenden Ohrfeige beantwortet. Das Sozialgericht hat auf diese Unverschämtheit geantwortet:
"Vorliegend hegt die Kammer keinen Zweifel daran, dass für die konkret ausgeübte Tätigkeit als Fitness-Trainer die Anmietung von Räumlichkeiten erforderlich war. [...] Vorliegend hegt die Kammer keinen Zweifel daran, dass für die konkret ausgeübte Tätigkeit als Fitness-Trainer die Anmietung von Räumlichkeiten erforderlich war. Der Kläger hat Räume zur gewerblichen Nutzung zu einem Preis von 300 € monatlich zu Wohnraumkonditionen angemietet. Die Kammer erachtet dies in Ansehung des Umstandes, dass gewerbliche Mieten regelmässig deutlich höher liegen als Mieten für gleich grossen Wohnraum, als vergleichsweise kostengünstige Lösung.
Das ist das komplette Gegenteil dessen, was das Jobcenter behauptet hat.

Und das Sozialgericht weiter:
"Soweit der Beklagte moniert, der Kläger habe vor der Anmietung der gewerblich genutzten Räumlichkeiten nicht die Zustimmung des Beklagten eingeholt, geht dieser Einwand fehl. Eine Begrenzung selbständiger Tätigkeit durch ein Zustimmungserfordernis vor der Anmietung gewerblicher Räumlichkeiten kennt das Gesetz nicht. Vielmehr sind derartige Kosten [...] als Ausgaben zu berücksichtigen."
Es gibt überhaupt kein Zustimmungsbedürfnis des Jobcenters zu Handlungen des Selbständigen innerhalb seiner selbständigen Tätigkeit. Das Jobcenter darf sich nicht zum Ersatzgeschäftsführer aufschwingen. Es trägt ja auch keinerlei Risiko der Unternehmung. Ebensowenig wie das Jobcenter für Schulden des eLB aufkommt. Es darf sich in keinster Weise in die Unternehmensführung einmischen!
"Der Klage war daher in vollem Umfang stattzugeben. Die Kostenentscheidung trägt dem vollständigen Obsiegen des Klägers Rechnung."
Der Kläger wäre gut beraten, künftig eine betriebliche Rechtsschutzversicherung abzuschliessen, die spätestens seit diesem Urteil eine notwendige Ausgabe darstellt.
peter-55
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Re: Betriebsausgaben SG Gießen - S 28 AS 816/12 -

#4

Beitrag von peter-55 »

Die Sachlage ist gut dargestellt, und es steht fest Ausgaben sind Ausgaben für Firmen und müssen anerkannt werden vom Jobcenter so weit sie zur Firma passen.
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