LSG NRW Heizkosten sind Bedarf L 20 AS 26/08

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Günter
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LSG NRW Heizkosten sind Bedarf L 20 AS 26/08

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Beitrag von Günter »

Übernahme der Heizkosten auch bei verspäteter Vorlage der Abrechnung.

Zwar ist dem Beklagten zuzugestehen, dass es dem Hilfebedürftigen durchaus zumutbar ist, entsprechende Rechnungen zeitnah vorzulegen. Daraus kann aber noch kein Ausschlusskriterium bei verzögerter Vorlage abgeleitet werden. Demnach ist auch das Kriterium des zivilrechtlichen Verzuges entgegen der Auffassung des SG Dresden (a.a.O.) nicht maßgeblich. Zwar bietet dieses Kriterium wie auch beispielsweise das Abstellen auf den Kalendermonat, einen Zeitraum von 30 Tagen, den Bewilligungszeitraum oder einen Zeitraum von sechs Monaten durchaus einen möglichen Anknüpfungspunkt. Jeder einzelne dieser Anknüpfungspunkte begegnet aber dem Einwand einer gewissen Willkürlichkeit und fehlenden gesetzlichen Verankerung. Dass das Problem der Konkretisierung auch im Falle der Verwirkung besteht, ist jedenfalls für den vorliegenden Fall unschädlich, da nach einem Zeitraum von knapp zwei Monaten nach Erstellung der Rechnung (der Zugang der Rechnung beim Kläger ist unklar geblieben) jedenfalls keine Verwirkung anzunehmen ist.

Jedenfalls erfordert die in § 66 Abs. 3 SGB I genannte Fristsetzung nach Auffassung der Kammer schon aus Gründen der Rechtssicherheit eine konkrete, zeitlich bestimmte Frist. Dass im Zivilrecht unter "unverzüglich" regelmäßig ein Zeitraum von höchstens 14 Tagen verstanden wird (vgl. Heinrichs, in: Palandt, BGB, 64. Aufl. 2005, § 121 Rdnr. 3), kann nicht ohne Weiteres auf das SGB II übertragen werden. Selbst wenn aber eine Versagung nach §§ 60, 66 SGB I möglich sein sollte, so dürften die Leistungen nach § 67 SGB I zu gewähren sein. Zwar stellt § 67 SGB I die nachträgliche Leistungserbringung bei Nachholung der Mitwirkungshandlung in das Ermessen des Leistungsträgers. Das Ermessen dürfte hier aber vor allem wegen des existenzsichernden Charakters der Grundsicherungsleistungen auf Null reduziert sein.

1. Instanz Sozialgericht Aachen S 14 AS 228/07 18.02.2008
2. Instanz Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 20 AS 26/08 15.12.2008
3. Instanz
Sachgebiet Grundsicherung für Arbeitssuchende
Entscheidung Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 08.03.2007 und Abänderung des Bescheides vom 09.03.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.06.2007 verurteilt, dem Kläger weitere 103,17 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 4 Prozent ab dem 01.10.2007 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Der Beklagte trägt die Kosten zu 1/3. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist insbesondere, ob der Beklagte an den Kläger Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Grundsicherung für Arbeitsuchende - für eine Heizkostennachforderung zu zahlen hat, die der Kläger dem Beklagten nicht sofort vorgelegt hat.

Der am 00.00.1944 geborene Kläger steht im laufenden Bezug von SGB II-Leistungen. Er bewohnt eine 49 qm große Wohnung zur Miete. Die Heizkosten (Versorgung mit Gas) rechnen die Stadtwerke E. direkt gegenüber dem Kläger ab. Am 10.01.2006 erhielt der Kläger eine Heizkostenabrechnung für das Jahr 2005. Er reichte diese Abrechnung am 08.02.2006 ein, woraufhin der Beklagte mit Bescheid vom 02.03.2006 einen entsprechenden Betrag bewilligte. Der monatliche Abschlag betrug 2006 dann 52,00 EUR und war erstmalig im Februar 2006 fällig.

Mit Bescheid vom 09.10.2006 gewährte der Beklagte Leistungen für den Zeitraum Oktober 2006 bis März 2007 in Höhe von monatlich 778,20 EUR. Darin waren Leistungen für Heizung in Höhe von 41,60 EUR enthalten. Der Beklagte ermittelte diesen Betrag für Heizkosten, indem er von dem tatsächlichen monatlichen Heizkostenabschlag in Höhe von 52,00 EUR einen 20%igen Abschlag in Höhe von 10,40 EUR für die Warmwasseraufbereitung vornahm. Auf Seite 2 des Bescheides findet sich unter der Überschrift Widerrufsvorbehalt u.a. folgender Text: "Die jährliche Heiz-/Betriebskostenabrechnung ist unaufgefordert und unverzüglich nach Erhalt hier vorzulegen ... Soweit die Energiezufuhr für die Heizkosten unmittelbar mit den Stadtwerken E. abgerechnet wird, werden Heizkostenvorauszahlungen nur längstens bis zum 31.12. des Jahres gewährt. Bei Vorlage der Jahresabschlussrechnung werden die tatsächlichen Kosten des Vorjahres ermittelt, sowie die neuen Vorauszahlungen festgesetzt." Mit Bescheid vom 20.12.2006 änderte der Beklagte die vorausgegangene Leistungsbewilligung für den Zeitraum ab Januar 2007 ab und reduzierte den monatlichen Leistungsbetrag auf 636,60 EUR. Diese Leistungsreduzierung ergab sich entsprechend den Ausführungen im vorangegangenen Bewilligungsbescheid daraus, dass der Beklagte bis zur Vorlage der Jahresabrechnung keine weiteren Heizkostenabschläge zahlte.

Unter dem 09.01.2007 erstellten die Stadtwerke E. die Jahresabrechnung für das Jahr 2006 für den Kläger. Ausweislich dieser Abrechnung, in der sowohl Erdgas als auch Stromlieferungen abgerechnet wurden, lag der Anteil der Gaskosten bei 623,87 EUR. Unter Berücksichtigung der geleisteten Abschläge ergab sich ein Nachzahlungsbetrag von insgesamt 203,44 EUR. Der neue monatliche Gesamtabschlag, der ab dem 28.02.2007 monatlich zu zahlen war, betrug 90,00 EUR. Davon entfielen 60,00 EUR auf die Gaskosten. Der sich aus der Jahresabrechnung ergebende Nachzahlungsbetrag war am 30.01.2007 fällig.

Am 7.3.2007 ging bei dem Beklagten ein vom Kläger mit Datum vom 02.03.2007 gefertigtes Schreiben ein, mit dem der Kläger die Jahresabrechnung des Energieversorgers übersandte und sowohl die Übernahme des sich aus dieser Rechnung ergebenden Nachforderungsbetrages als auch eine Nachzahlung der neuen Abschläge für Februar und März begehrte. Zur Ermittlung des Nachzahlungsbetrages stellte der Beklagte ausweislich eines internen Vermerkes die tatsächlichen Gaskosten für das Jahr 2006 abzüglich eines 18%igen Abschlages für die Warmwasseraufbereitung (623,87 EUR - 112,30 EUR = 511,57 EUR) den 2006 insgesamt gewährten Leistungen für Heizung in Höhe von 457,60 EUR gegenüber. Daraus ergab sich ein Restanspruch von 53,97 EUR. In einem Bearbeitungshinweis hieß es allerdings weiter: "Eine Nebenkosten-/Heizkostenabrechnung ist innerhalb einer angemessenen Frist von längstens einem Monat vorzulegen. Anderenfalls ist im Falle einer Antragstellung eine Übernahme abzulehnen, da es sich bereits um mietrechtliche Schulden handelt."

Mit Bescheid vom 08.03.2007 lehnte der Beklagte die Übernahme des Heizkostenabschlages für Februar 2007 sowie die Übernahme der Heizkostennachforderung ab. Gemäß § 37 SGB II seien Leistungen zu beantragen. Die Übernahme der Heizkosten sei aber erst am 07.03.2007 beantragt worden. Rückständige Energiekosten seien als Schulden anzusehen und daher vom Kläger selbst zu tragen. Mit Änderungsbescheid vom 09.03.2007 gewährte der Beklagte für März 2007 Leistungen in Höhe von insgesamt 685,80 EUR unter Berücksichtigung des neuen Heizkostenabschlages in Höhe von 60,00 EUR, der im Gegensatz zur Berechnung im Bescheid vom 09.10.2006 um einen Anteil von (nur noch) 18 % = 10,80 EUR auf 49,20 EUR reduziert wurde. Mit Bewilligungsbescheid vom 09.03.2007 gewährte der Beklagte sodann Leistungen für den Zeitraum April 2007 bis September 20007 unter Berücksichtigung des vorgenannten Heizkostenanteils.

Am 04.04.2007 legte der Kläger Widerspruch gegen den Bescheid vom 08.03.2007 und den Änderungsbescheid vom 09.03.2007 ein. Ihm seien sowohl der Februarabschlag als auch Leistungen für die Heizkostennachforderung seitens der Stadtwerke Düren zu zahlen. Stromkostenrückstände seien gegebenenfalls nach § 34 SGB XII zu übernehmen. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 01.06.2007 (zugestellt am 05.06.2007) zurück. Der Kläger sei auf die Notwendigkeit einer unverzüglichen Vorlage der Abrechnung hingewiesen worden. Heizkosten seien nur im jeweiligen Monat aktueller Bedarf. Es sei nicht nachvollziehbar, warum die Rechnung vom 09.01.2007 erst ca. 2 Monate später vorgelegt worden sei. Als angemessener Zeitraum für die Vorlage sei vielmehr eine Zeit von 3 Wochen anzusehen. Aufgrund der verspäteten Vorlage könnten weder die Nachforderung noch der Abschlag für Februar berücksichtigt werden. Gemäß § 66 SGB I könne der Leistungsträger bis zur Nachholung einer Mitwirkung Leistungen ganz oder teilweise versagen. Werde die Mitwirkung nachgeholt, könnten die Leistungen gewährt werden. Diese Entscheidung stehe allerdings im Ermessen des Leistungsträgers. Aufgrund der Verspätung von 2 Monaten könne dem Begehren des Klägers nicht entsprochen werden.

Hiergegen richtet sich die am 04.07.2007 erhobene Klage.

Der Kläger trägt vor, ihm seien Heizungskosten für die Monate Januar bis März 2007 in Höhe von insgesamt 124,80 EUR zu gewähren. Außerdem stehe ihm ab Februar 2007 ein um 2,00 EUR monatlich höherer Regelsatz zu, weswegen ihm weitere 10,00 EUR zu zahlen seien. Dann habe der Beklagte den Anteil des Warmwassers von 20 % auf 18 % abgesenkt, was monatlich eine Differenz von 0,40 EUR ausmache und bis September 2007 einen Gesamtbetrag von 3,60 EUR. Auch dieser sei an ihn zu zahlen. Schließlich sei der Gesamtbetrag aus der Abschlussrechnung der Stadtwerke E. in Höhe von 203,44 EUR an ihn zu zahlen. In der Summe ergebe sich eine Forderung von 341,84 EUR, die in Höhe von 5 % = 17,09 EUR zu verzinsen sei.

Der Beklagte hat im Termin zur mündlichen Verhandlung am 18.02.2008, zu dem der ordnungsgemäß geladene Kläger nicht erschienen ist, den Klageanspruch in Höhe von 103,17 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 4 % ab dem 01.10.2007 anerkannt.

Der Kläger beantragt schriftlich sinngemäß,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 08.03.2007 und Abänderung des Bescheides vom 09.03.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.06.2007 zu verurteilen, ihm weitere 358,93 EUR zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage insofern abzuweisen, als sie über das im Termin abgegebene Teilanerkenntnis hinausgeht.

Der Beklagte wiederholt und vertieft sein Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren. Die Heizkosten des Klägers seien grundsätzlich nicht unangemessen. Die Erstattung des Heizkostenanteils in Höhe von 53,97 EUR sowie des Februarabschlages sei jedoch zunächst abgelehnt worden, da von einem aktuellen Bedarf nur bis zur Fälligkeit einer Forderung ausgegangen werden könne. Für den Fall der Erstattung von Guthaben sei anerkannt gewesen, dass diese im Zuflussmonat Einkommen und danach Vermögen seien. Dies müsse entsprechend umgekehrt gelten, wenn es um Nachforderungen gehe. Dass aktueller Bedarf nur bis zur Fälligkeit bestehe, bestätige auch das Urteil des Sozialgerichts - SG - X vom 14.06.2007, S 9 AS 146/06. Letztlich würden aber der Heizkostenanteil aus der Jahresabrechnung in Höhe von 53,97 EUR sowie weitere 49,20 EUR für Heizkosten im Februar akzeptiert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen, deren jeweiliger wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die im Wesentlichen zulässige Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfange begründet.

Das Gericht konnte nach Lage der Akten entscheiden, da der Kläger zum Termin zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen ist. Der Kläger wurde auf diese Möglichkeit in der ordnungsgemäß zugestellten Ladung hingewiesen (vgl. hierzu § 110 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Die Klage ist bereits unzulässig hinsichtlich der Forderung einer höheren Regelleistung für den Zeitraum Februar bis September 2007. Denn eine Erhöhung der Regelleistung war nicht Gegenstand des Antrages des Klägers vom 06.03.2007 und des nachfolgenden Vorverfahrens, das allein die Kosten der Unterkunft als eigenständigen Streitgegenstand (vgl. Bundessozialgericht – BSG –, Urteil vom 07.11.2006, B 7b AS 8/06 R, Rdnr. 18) betraf. Insofern fehlt es im vorliegenden Verfahren an der Zulässigkeitsvoraussetzung der vorherigen Durchführung eines ordnungsgemäßen Vorverfahrens nach § 78 Abs. 1 und Abs. 3 SGG. Leistungen für die Zeit ab April 2007 waren Gegenstand des entsprechenden Bewilligungsbescheides vom 09.03.2007, der nicht angefochten wurde. Der Widerspruch vom 04.04.2007 bezog sich ausdrücklich nur auf den Bescheid vom 08.03.2007 und den "Änderungsbescheid" (und nicht den "Bewilligungsbescheid") vom 09.03.2007. Die Klage ist im Hinblick auf eine höhere Regelleistung jedenfalls bis Juni 2007 auch unbegründet. Denn eine Erhöhung der Regelleistung erfolgte erst zum 01.07.2007 (vgl. § 20 Abs. 4 SGB II i.V.m. der "Bekanntmachung über die Höhe der Regelleistung nach § 20 Abs. 2 Satz 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch ab dem 01. Juli 2007" vom 18.06.2007, BGBl. 2007 I, S. 1139).

Soweit der Kläger die Herabsetzung des Warmwasseranteils auf 18 % für die Monate Januar bis September 2007 angreift, so sind aus den vorgenannten Gründen nur die Monate Januar bis März 2007 Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Allerdings führt die Herabsetzung des Warmwasseranteils von 20 % auf 18 % im Ergebnis zu höheren Leistungen für den Kläger. Denn bei der Berechnung der Leistungen für Heizung zieht der Beklagte von den tatsächlichen Heizkosten den Warmwasseranteil ab. Verringern sich diese, erhöht sich entsprechend der Leistungsbetrag. Dies führt aber nicht schon zur (teilweisen) Unzulässigkeit der Klage, etwa wegen fehlender Klagebefugnis. Denn Gegenstand sind Leistungen für Unterkunft und Heizung in bestimmter Höhe für einen bestimmten Leistungszeitraum und nicht die isolierte Frage des Warmwasseranteils.

Im Hinblick auf die damit streitgegenständliche Frage der Leistungen für Unterkunft und Heizung in den Monaten Januar bis März einschließlich Leistungen für die Jahresabrechnung der Stadtwerke E. ist der Kläger durch die angefochtenen Bescheide im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang beschwert, da die Bescheide insofern rechtswidrig sind. Dem Kläger steht sowohl ein Anspruch auf Leistungen für den Heizkostenabschlag im Februar 2007 in Höhe von 49,20 EUR als auch ein Anspruch auf Leistungen für die Heizkostennachforderung in Höhe von 53,97 EUR aus § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu. Dieser Anspruch ist in Höhe von 4 % ab dem 01.10.2007 zu verzinsen. Ein darüber hinausgehender Anspruch auf Zahlung eines weiteren Abschlags für Januar und März 2007, auf Erstattung des Gesamtbetrages der Jahresabrechnung der Stadtwerke E. und auf Erstattung von Zinsen in Höhe von 5 % besteht dagegen nicht.

Im Hinblick auf das vom Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung am 18.02.2008 abgegebene Teilanerkenntnis war der Beklagte in dieser Höhe ohne Weiteres zu verurteilen.

Die Kammer weist ergänzend auf Folgendes hin: Eine Heizkostennachforderung ist als aktueller Bedarf im Zeitpunkt ihres Entstehens anzusehen (vgl. Bundesverwaltungsgericht - BVerwG, Urteil vom 04.02.1988, 5 C 89/85, juris; Bayerisches Landessozialgericht - LSG - Beschluss vom 30.04.2007, L 7 B 59/07 AS PKH; SG Dortmund, Urteil vom 11.07.2006, S 33 AS 975/05; SG Aachen, Urteil vom 14.06.2007, S 9 AS 146/06). Dementsprechend besteht in dem jeweiligen Monat unter der - hier unstreitigen - Voraussetzung der Angemessenheit der Heizkosten ein Anspruch auf Leistungen nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Dem kann auch nicht das Antragserfordernis aus § 37 SGB II entgegengehalten werden. Denn Leistungen für eine Nebenkostennachforderung sind keine eigenständige Leistung im Sinne des SGB II. Sie gehören vielmehr zum laufenden Unterkunfts- bzw. Heizungsbedarf. Daraus folgt, dass der für den entsprechenden Bewilligungsabschnitt gestellte Erst- oder Fortzahlungsantrag die Erstattung einer solchen eventuellen Nachforderung seitens des Versorgers umfasst (vgl. SG Augsburg, Urteil vom 21.11.2006, S 6 AS 685/06; SG Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 02.04.2007, S 35 AS 41/07, juris, Rdnr. 13 und 15).

Gerade weil der Bedarf aufgrund einer Heizkostennachzahlung ohne Weiteres als laufender aktueller Bedarf anzusehen ist und auch immer ein entsprechender Antrag in Gestalt des vorangegangenen Erst- bzw. Fortzahlungsantrags unterstellt werden kann, hält die Kammer eine Ablehnung der Übernahme der Kosten wegen verzögerter Vorlage der Abrechnung allenfalls unter dem Gesichtspunkt der Verwirkung für möglich. Allerdings hat das SG Aachen in seinem Urteil vom 14.06.2007 (S 9 AS 146/06) ausgeführt, dass Nachforderungen aktueller Bedarf nur bis zum Zeitpunkt der Fälligkeit seien. Die im dortigen Fall erst nach sieben Monaten nach ihrer Erstellung vorgelegte Nebenkostennachforderung sei jedenfalls nicht zu übernehmen. Das SG Dresden hat in einem Beschluss vom 11.09.2006 (S 34 AS 1334/06 ER, juris, Leitsatz 1 und Rdnr. 26) ausgeführt, ein gegenwärtiger Bedarf sei ab dem Moment ausgeschlossen, in dem der Hilfebedürftige mit der Zahlung der entsprechenden Leistung gegenüber dem Dritten in Verzug gerate. Ab dann handele es sich im Verhältnis von Leistungsempfänger und Leistungsträger lediglich um Mietschulden im Sinne von § 22 Abs. 5 SGB II.

Soweit tatsächlich vertreten werden sollte, dass eine Vorlage von Nebenkosten- bzw. Heizkostenabrechnungen bis zu deren Fälligkeit zu erfolgen habe, so folgt die Kammer dem nicht. Gemäß § 271 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB - ist eine Forderung grundsätzlich sofort fällig. Dann aber wäre es dem Hilfebedürftigen grundsätzlich unmöglich, eine Nachforderung vor Fälligkeit dem Leistungsträger vorzulegen. Eine darüber hinausgehende zeitliche Vorgabe für die Vorlage einer Heiz- oder Nebenkostennachforderung ist - mit Ausnahme des allgemeinen Grundsatzes der Verwirkung - nach Auffassung der Kammer aus dem Gesetz nicht ableitbar.

Zwar ist dem Beklagten zuzugestehen, dass es dem Hilfebedürftigen durchaus zumutbar ist, entsprechende Rechnungen zeitnah vorzulegen. Daraus kann aber noch kein Ausschlusskriterium bei verzögerter Vorlage abgeleitet werden. Demnach ist auch das Kriterium des zivilrechtlichen Verzuges entgegen der Auffassung des SG Dresden (a.a.O.) nicht maßgeblich. Zwar bietet dieses Kriterium wie auch beispielsweise das Abstellen auf den Kalendermonat, einen Zeitraum von 30 Tagen, den Bewilligungszeitraum oder einen Zeitraum von sechs Monaten durchaus einen möglichen Anknüpfungspunkt. Jeder einzelne dieser Anknüpfungspunkte begegnet aber dem Einwand einer gewissen Willkürlichkeit und fehlenden gesetzlichen Verankerung. Dass das Problem der Konkretisierung auch im Falle der Verwirkung besteht, ist jedenfalls für den vorliegenden Fall unschädlich, da nach einem Zeitraum von knapp zwei Monaten nach Erstellung der Rechnung (der Zugang der Rechnung beim Kläger ist unklar geblieben) jedenfalls keine Verwirkung anzunehmen ist.

Auch wenn das Problem bisher ausdrücklich nur in wenigen Entscheidungen angesprochen worden ist, so finden sich doch weitere Entscheidungen, die die Maßgeblichkeit eines größeren Zeitraumes jedenfalls als zwei Monate nahelegen. So war für das Bayerische LSG (a.a.O., juris, Rdnr. 7) entscheidend, dass der Rechnungsbetrag "im Jahr 2005 fällig" war. Auch das SG Dortmund (a.a.O., juris, Leitsatz 5, Rdnr. 42) hat maßgeblich darauf abgestellt, dass die Nachforderung im "Leistungsbezugszeitraum" fällig wird. Das BSG führte in seinem Urteil vom 07.11.2006 (B 7b AS 8/06 R, Rdnr. 34) aus, dass im Zusammenhang mit § 22 SGB II im dortigen Fall keine höheren Leistungen zu gewähren seien, da die Kläger selbst eingeräumt hätten, dass Zahlungen "im streitigen Zeitraum" nicht hätten erbracht werden müssen. Deshalb habe es sich nicht um einen tatsächlichen Bedarf gehandelt. Der streitige Zeitraum betrug im dortigen Fall immerhin fünf Monate. In einem weiteren Urteil des BSG (vom 16.05.2007, B 7b AS 40/06 R, Rdnr. 13), das sich ausdrücklich mit Heizkosten befasste, wurde als entscheidende "Trennlinie" allein der Eintritt der Hilfebedürftigkeit gesehen. Aus der Tatsache, dass in den genannten Entscheidungen allein auf die Fälligkeit im Bedarfszeitraum bzw. während des Leistungsbezuges abgestellt wird, kann gefolgert werden, dass eine weitergehende Einschränkung grundsätzlich nicht möglich ist.

Wenn der Beklagte im Anschluss an das Urteil des SG Aachen vom 14.06.2006 (S 9 AS 146/06) vorträgt, für die von ihm gewählte Lösung spreche, dass für den umgekehrten Fall, nämlich der Erstattung von Vorauszahlungen, anerkannt gewesen sei, dass der Erstattungsbetrag im Monat des Zuflusses als Einkommen, in den Folgemonaten aber als Vermögen anzusehen gewesen sei, so erscheint dies durchaus fraglich. Die Erstattung von Vorauszahlungen dürfte – vor der Neufassung von § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II – vielmehr als einmalige Einnahme anzusehen gewesen sein, die entsprechend der Alg II-V in der jeweils geltenden Fassung auf den Bedarf anzurechnen war. Im Übrigen findet sich auch in dem vorgenannten Urteil des SG Aachen keine Festlegung im Sinne des Beklagten. Denn das SG Aachen führte aus, dass "jedenfalls" dann nicht mehr von aktuellem Bedarf auszugehen sei, wenn eine Abrechnung erst nach sieben Monaten vorgelegt werde. Ein solches Ergebnis ließe sich möglicherweise auch unter Heranziehung von § 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II i.V.m dem Grundsatz der Verwirkung erreichen.

Auch eine Versagung der Leistung nach den §§ 60 ff. SGB I kommt nicht in Betracht. Denn eine solche Versagung setzt gemäß § 66 Abs. 3 SGB I eine Fristsetzung voraus. Im vorliegenden Fall hat der Beklagte im vorangegangenen Bewilligungsbescheid vom 09.10.2006 auf Seite 2 unter der Rubrik Widerrufsvorbehalt lediglich den Hinweis erteilt, dass die jährliche Abrechnung unverzüglich und unaufgefordert vorzulegen sei. Hierin ist nach Auffasung der Kammer noch keine Fristsetzung im Sinne von § 66 Abs. 3 SGB I zu sehen. Bei dem Hinweis dürfte es sich um eine Konkretisierung der ohnehin bestehenden Pflicht zur "unverzüglichen" Mitteilung einer für die Leistung erheblichen Änderung der Verhältnisse (§ 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I) bzw. zur Benennung und Vorlage entsprechender Beweismittel (§ 60 Abs. 1 Nr. 3 SGB II) handeln. Jedenfalls erfordert die in § 66 Abs. 3 SGB I genannte Fristsetzung nach Auffassung der Kammer schon aus Gründen der Rechtssicherheit eine konkrete, zeitlich bestimmte Frist. Dass im Zivilrecht unter "unverzüglich" regelmäßig ein Zeitraum von höchstens 14 Tagen verstanden wird (vgl. Heinrichs, in: Palandt, BGB, 64. Aufl. 2005, § 121 Rdnr. 3), kann nicht ohne Weiteres auf das SGB II übertragen werden. Selbst wenn aber eine Versagung nach §§ 60, 66 SGB I möglich sein sollte, so dürften die Leistungen nach § 67 SGB I zu gewähren sein. Zwar stellt § 67 SGB I die nachträgliche Leistungserbringung bei Nachholung der Mitwirkungshandlung in das Ermessen des Leistungsträgers. Das Ermessen dürfte hier aber vor allem wegen des existenzsichernden Charakters der Grundsicherungsleistungen auf Null reduziert sein.

Demnach sind sowohl der Heizkostenabschlag für Februar 2007 als auch der Heizkostenanteil aus dem Nachforderungsbetrag der Stadtwerke zu erstatten. Wegen der Höhe insbesondere des zu erstattenden Heizkostenanteils aus der Jahresrechnung wird auf die Berechnung des Beklagten verwiesen. Aus dem Vortrag des Klägers zur Absenkung des Warmwasseranteils ergibt sich kein höherer Anspruch, da diese Änderung – wie im Rahmen der Zulässigkeit bereits ausgeführt – den Leistungsanspruch des Klägers erhöht hat und also zu seinem Vorteil erfolgt ist.

Leistungen für einen Heizkostenabschlag für Januar 2007 kommen nicht in Betracht, da die Stadtwerke Düren erst wieder ab Februar 2007 einen Abschlag gefordert haben. Leistungen für einen Heizkostenabschlag für März 2007 kommen nicht in Betracht, da der Beklagte einen entsprechenden Betrag bereits mit Bescheid vom 09.03.2007 gewährt hat. Eine Erstattung des auf den Haushaltsstrom entfallenden Anteils der Jahresrechnung scheidet aus, da die Aufwendungen für Haushaltsenergie gemäß § 20 Abs. 1 SGB II in der seit dem 01.08.2006 gültigen Fassung ausdrücklich aus der pauschaliert gewährten Regelleistung zu decken sind. Eine Übernahme von Stromschulden nach § 22 Abs. 5 SGB II scheitert daran, dass die Übernahme hier nicht zur "Sicherung der Unterkunft" oder zur Behebung einer "vergleichbaren Notlage" im Sinne von § 22 Abs. 5 Satz 1 SGB II erforderlich ist.

Der sich ergebende Leistungsbetrag von 103,17 EUR ist gemäß dem Antrag des Klägers zu verzinsen. Es kommt aber nur eine Verzinsung mit 4 vom Hundert gemäß § 44 Abs. 1 SGB I in Betracht. Gemäß § 44 Abs. 2 SGB I beginnt die Verzinsung frühestens nach Ablauf von sechs Kalendermonaten nach Eingang des vollständigen Leistungsantrages. Der Antrag war hier mit Vorlage der Jahresabrechnung im März 2007 vollständig, so dass die Forderung erst ab dem 01.10.2007 zu verzinsen ist (vgl. zur Bestimmung des Verzinsungsbeginnes LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 30.01.2007, L 13 R 786/05 a.E.). Für eine darüber hinausgehende Verzinsung auch der Höhe nach besteht keine Rechtsgrundlage. So können im sozialgerichtlichen Verfahren insbesondere keine Prozesszinsen zugesprochen werden (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leiterer, SGG, 8. Aufl. 2005, § 51 Rdnr. 39 "Zinsansprüche"). Der Verurteilung zur Verzinsung im tenorierten Sinne steht nicht entgegen, dass der Kläger die begehrten Zinsen konkret berechnet hat. Denn die vom Beklagten zu zahlende Summe dürfte auch unter Berücksichtigung der tenorierten Zinsen im Ergebnis weit unter dem im Antrag genannten Betrag liegen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG, die Zulassung der Berufung auf § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG.



https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/es ... sensitive=
S_14_AS_228_07.pdf
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Ich könnte freundlich, aber wozu? :6:
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