LSG Thüringen L 7 B 69/06 AS KdU unter 25

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kleinchaos
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LSG Thüringen L 7 B 69/06 AS KdU unter 25

#1

Beitrag von kleinchaos »

Tenor:
Wenn die elterliche Wohnung gekündigt wurde besteht ein Anspruch auf eigene Wohnung, wenn die Eltern eine kleinere Wohnung anmieten, so dass für den u25jährigen keine Wohnmöglichkeit mehr vorhanden ist.
Der Beschluss des Sozialgerichts Gotha vom 19. Juli 2006 wird aufgehoben.

Der Klägerin wird Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren vor dem Sozialgericht Gotha - S 31 AS 1847/06 - unter Beiordnung von Rechtsanwältin C. R., S., ohne Ratenzahlung bewilligt.

Gründe:

I.

Die 1986 geborene Klägerin wohnte bis zum 31. März 2006 in einer Bedarfsgemeinschaft mit ihrer Mutter P. und ihrer Schwester S. in dem Haus der Großeltern. Bereits unter dem 27. Januar 2006 teilte die "Allgemeine Immobilien 24-Beratungsgesellschaft mbH" mit, dass die Liegenschaft im Auftrag des Eigentümers veräußert werden solle. Bei Verkauf müsse die Klägerin die Wohnung räumen. Nach notariellem Kaufvertrag vom 22. März 2006 erfolgte unter dem 23. März 2006 die Kündigung des Mietvertrages zum 30. Juni 2006. Es wurde gebeten, die genutzten Räumlichkeiten spätestens bis zum 15. Juni 2006 zu räumen.

Die Klägerin mietete mit Mietvertrag vom 28. März 2006 ab dem 1. April 2006 eine 38 Quadratmeter große Dachgeschosswohnung in W. mit einer Grundmiete von 133,00 EUR und einer Warmmiete von 220,60 EUR an. Die Mutter der Klägerin teilte der Beklagten am 28. März 2006 mit, dass sie selbst wahrscheinlich nach E. ziehen werde. Am selben Tage stellte sie einen Antrag auf Umzugskosten für sich und ihre Tochter S. und legte am 11. April 2006 einen Kostenvoranschlag der Autovermietung H. vom selben Tage vor. Am 11. April 2006 teilte die Mutter mit, sie werde am 1. Mai 2006 nach E. in die R. Straße umziehen. Sie wohnt heute in einer Einraumwohnung in E. in der M. Straße mit 39,17 Quadratmetern.

Mit Änderungsbescheid vom 28. April 2006 bewilligte die Beklagte der Klägerin ab 1. April 2006 bis zum 30. Juni 2006 unter Berücksichtigung eines Einkommens (Kindergeld, Unterhalt und Leistungen nach dem Bafög) in Höhe von 247,60 EUR eine monatliche Regelleistung in Höhe von 53,40 EUR. Kosten für Unterkunft und Heizung wurden unter Hinweis auf § 22 Abs. 2 a SGB II abgelehnt. Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 18. Mai 2006 zurückgewiesen. Zwar seien die Kosten für die Unterkunft hinsichtlich der neuen Wohnung angemessen. Mangels Zusicherung nach § 22 Abs. 2 a SGB II seien diese Kosten jedoch nicht zu übernehmen. Ein Härtefall liege nicht vor.

Hiergegen hat die Klägerin am 19. Juni 2006 Klage erhoben und beantragt, ihr Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin R. zu bewilligen.

Den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 10. Juli 2006 abgelehnt. Gegen den am 14. Juli 2006 zugestellten Beschluss hat die Klägerin am 14. August 2006 Beschwerde eingelegt, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet.

Nach § 73 a Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in Verbindung mit § 114 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Dass die Klägerin aufgrund ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse nicht in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung zu tragen, ergibt sich aus der von ihr im Klageverfahren vorgelegten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse.

Die für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erforderliche Erfolgsaussicht liegt ebenfalls vor. Die Rechtsverfolgung ist dann hinreichend erfolgversprechend, wenn das Gericht nach vorläufiger summarischer Prüfung den Rechtsstandpunkt des Antragstellers zumindest für vertretbar und unter Berücksichtigung auch des gegnerischen Vorbringens den Prozesserfolg für wahrscheinlich hält, wobei eine überwiegende Wahrscheinlichkeit nicht erforderlich ist. Infolgedessen reicht zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe bereits eine nicht geringe Wahrscheinlichkeit (vgl. Kalthoehner/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe, 3. Aufl. 2003, Rnr. 409).

Die Klägerin hat dem Grunde nach einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II. Dies ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig. Streitig ist allein die Frage, ob der Anspruch auf Gewährung der (angemessenen) Unterkunftskosten im Hinblick auf die Neuregelung des § 22 Abs. 2 a SGB II ausgeschlossen ist.

Nach § 22 Abs. 2 a SGB II, eingefügt durch das Gesetz zur Änderung des 2. Buches Sozialgesetzbuch und andere Gesetze vom 24. März 2006 (BGBl. I, Seite 558) werden in den Fällen, in denen Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und umziehen, Leistungen für Unterkunft und Heizung für die Zeit nach einem Umzug bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres nur erbracht, wenn der kommunale Träger dies vor Abschluss des Vertrages über die Unterkunft zugesichert hat. Eine Zusicherung wurde vorliegend nicht erteilt. Ob insoweit ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch, wie die Klägerin meint, gegeben ist, kann im Rahmen der summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten dahingestellt bleiben. Denn es spricht bereits Vieles dafür, dass die Vorschrift des § 22 Abs. 2 a SGB II vorliegend keine Anwendung findet. Zwar ist der Beklagten zuzugeben, dass eine rein am Wortlaut orientierte Auslegung auch den vorliegenden Sachverhalt ergreift. Sinn und Zweck der Neuregelung lassen hingegen eine andere Auslegung zu. § 22 Abs. 2 a SGB II wurde eingeführt, weil Ursache hoher Kosten u. a. der Erstbezug einer eigenen Wohnung durch Personen war, die entweder bislang wegen Unterstützung innerhalb einer Haushaltsgemeinschaft keinen Anspruch hatten oder als Teil der Bedarfsgemeinschaft niedrigere Leistungen bezogen haben. Künftig sollten durch die Neuregelung Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und erstmalig eine Wohnung beziehen wollen, vorher die Zustimmung des Leistungsträgers einholen (BT Drucksache 16/688 Seite 14). Damit wollte der Gesetzgeber also vermeiden, dass ein junger Mensch, der das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sich von der Bedarfsgemeinschaft löst, indem er die elterliche Wohnung verlässt.

Die Klägerin ist allerdings nicht aus dem elterlichen Haushalt gezogen, um einen eigenen Hausstand zu gründen, vielmehr musste die Wohnung in E. von der gesamten Bedarfsgemeinschaft aufgegeben werden, nachdem die Wohnung verkauft und das Mietverhältnis gekündigt worden war. Die Klägerin hätte nicht in der elterlichen Wohnung verbleiben können.

Der Begriff des Umzugs in § 22 Abs. 2 a SGB II erfasst nach oben Gesagtem jedenfalls nicht die Fälle, in denen junge Hilfebedürftige als Teil der elterlichen Bedarfsgemeinschaft mit dieser umziehen (vgl. Berlit in LPK-SGB II, 2. Aufl., 2006, § 22 Rnr. 80). Liegt also kein Umzug im Sinne von § 22 Abs. 2 a SGB II vor, wenn die Bedarfsgemeinschaft anlässlich einer Kündigung ihrer Wohnung umzieht und eine neue, gemeinsame Wohnung nimmt, so kann nichts anderes gelten, wenn ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft, der unter 25 Jahre ist, in einem solchen Fall eine eigene Wohnung nimmt. Denn § 22 Abs. 2 a SGB II verhindert lediglich den Auszug aus der Wohnung der Bedarfsgemeinschaft, soll also eine schon bestehende Lebenssituation aufrechterhalten, verpflichtet nach seinem Wortlaut den unter 25-Jährigen aber nicht, bei Umzug des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, zu diesem zu ziehen, um die Bedarfsgemeinschaft an dem neuen Wohnort, hier E., fortzusetzen, aufrecht zu erhalten oder zu begründen. Die Auffassung der Beklagten, die letztlich nur den Schluss zulässt, dass die Klägerin zwar umziehen "darf", aber nach E. zu ihrer Mutter ziehen "muss", wäre nur schwerlich mit Art. 11 Abs. 1 GG zu vereinbaren. Danach genießen alle Deutschen im Bundesgebiet Freizügigkeit, d. h. die Möglichkeit, an jedem Ort innerhalb des Bundesgebietes Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen. Dieses Recht darf nach Art. 11 Abs. 2 GG nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden. Eine solche Einschränkung beinhaltet das Gesetz lediglich bei der Frage, unter welchen Voraussetzungen man die Bedarfsgemeinschaft verlassen kann, nicht aber, wo die Bedarfsgemeinschaft begründet werden muss.

Die Entscheidung ist unanfechtbar (vgl. § 177 SGG).
L 11 B 13-07 AS ER KdU u25 LSG SHS.pdf
Rechtsgutachten_22Abs_2a_SGB_II_pdf_.pdf
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"Freiheit nur für die Anhänger der Regierung, nur für Mitglieder einer Partei - mögen sie noch so zahlreich sein - ist keine Freiheit. Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden." Rosa Luxemburg
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#2

Beitrag von kleinchaos »

In einem ähnlich gelagerten Fall entschied das LSG Schleswig Holstein ebenso.
Die Tochter zog nach Trennung bei ihrem Vater in die Wohnung. Dieser verzog einige Zeit danach in einen anderen Ort. Die Tochter übernahm die Wohnung per Mietvertrag.
Das LSG SHS ging in der Urteilsbegründung davon aus, dass es sich hierbei ja nicht um einen UMZUG handelt.
L 11 B 13-07 AS ER KdU u25 LSG SHS.pdf
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