BSG Kostensenkungsverfahren B 11b AS 41/06 R

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Günter
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BSG Kostensenkungsverfahren B 11b AS 41/06 R

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Beitrag von Günter »

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 19.3.2008, B 11b AS 41/06 R

Arbeitslosengeld II - unangemessene Unterkunftskosten - Aufforderung zur Kostensenkung keine zwingende Voraussetzung für Kostensenkungsverfahren - Angemessenheits- und Zumutbarkeitsprüfung

Leitsätze

Eine Kostensenkungsaufforderung ist keine notwendige Voraussetzung für die Entscheidung des Trägers, nur die angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung zu übernehmen.

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a) Gemäß § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung grundsätzlich in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit sie angemessen sind. Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft aber den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf des alleinstehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft nur solange zu berücksichtigen, wie es diesen nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate (§ 22 Abs 1 Satz 2 SGB II idF des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003, BGBl I 2954). Nur unter der - in den Bescheiden und durch die Vorinstanzen nicht erläuterten - Annahme, dass die abstrakt angemessene Gesamtmiete mit 390 EUR bzw 393 EUR und nicht entsprechend den tatsächlichen Kosten mit 624,98 EUR anzusetzen war, beurteilt sich der Umfang der Leistungen für Unterkunft und Heizung nach diesen zuletzt genannten, einschränkenden Voraussetzungen. Die Übernahme der tatsächlichen Aufwendungen hängt dann davon ab, dass es innerhalb der vorgegebenen Regelfrist von sechs Monaten dem Leistungsempfänger nicht möglich oder nicht zumutbar ist, die Kosten zu senken. Eine vorherige förmliche Kostensenkungsaufforderung des Trägers ist demgegenüber ebenso wenig wie bei der parallelen sozialhilferechtlichen Regelung des § 29 Abs 1 Satz 3 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) eine eigens erwähnte zwingende Voraussetzung der Entscheidung des Trägers, nur die angemessenen KdU zu übernehmen. Dass dies vom Gesetzgeber auch erkennbar nicht gewollt ist (vgl BT-Drucks 15/1516 S 57), verdeutlicht beispielsweise der Kontext zu der anders lautenden Vorschrift des § 31 SGB II, der die dort geregelten Sanktionen der Absenkung und des Wegfalls des Arbeitslosengelds II ua an eine ausdrücklich normierte Belehrung über die Rechtsfolgen knüpft. Vorgesehen ist vielmehr, dass dem Hilfebedürftigen die Art und Weise seiner Bemühungen selbst überlassen bleiben und er sich zwecks Unterstützung und Zusicherung an den kommunalen Träger wenden soll (§ 22 Abs 2 SGB II idF des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, aaO; vgl auch § 29 Abs 1 Satz 4 und 5 SGB XII). Die Kürzung der Leistung ist insoweit als besonderer gesetzlicher Anwendungsfall des allgemeinen Grundsatzes des Forderns (§ 2 SGB II) ausgestaltet. Lediglich im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung gewinnen Kostensenkungsaufforderungen der Träger (zum mangelnden Verwaltungsaktcharakter BSG, Urteil vom 7. November 2006 - B 7b AS 10/06 R, BSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 22 Nr 2 RdNr 29; BSG, Beschluss vom 11. September 2007 - B 11b AS 11/06 R) ihre Bedeutung als Informationen gegenüber dem Hilfebedürftigen mit Aufklärungs- und Warnfunktion.
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Hierzu hat der 7b. Senat schon in seiner Entscheidung vom 7. November 2006 - B 7b AS 10/06 R (aaO) im Zusammenhang mit einem noch durch den ursprünglichen Sozialhilfeträger erteilten Hinweis ausgeführt, dass die Anforderungen an die Konkretisierung der vom Gesetz verlangten Eigenbemühungen eines Arbeitslosen (BSGE 95, 176 ff = SozR 4-4300 § 119 Nr 3) nicht übertragbar sind (vgl auch Kalhorn in Hauck/Noftz, SGB II, § 22 RdNr 34, 35). Erst recht gilt dies für die von der Vorinstanz bemühte Obliegenheit zur unverzüglichen Arbeitsuchendmeldung nach § 37b Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III). Der erkennende Senat hat bereits in seiner vom LSG zitierten Entscheidung vom 25. Mai 2005 - B 11a/11 AL 81/04 R (BSGE 95, 8 = SozR 4-4300 § 140 Nr 1) darauf hingewiesen, dass der Bundesagentur für Arbeit (BA) eine Belehrungspflicht in diesen Fällen nicht auferlegt werden kann und ein fehlender Hinweis der BA nur bei der Frage von Bedeutung ist, ob der Arbeitslose seine Obliegenheit zur frühzeitigen Arbeitssuche schuldhaft verletzt oder nicht (vgl jetzt BSG, Urteile vom 28. August 2007 - B 7/7a AL 56/06 R -, SozR 4-4300 § 37b Nr 5, und vom 17. Oktober 2007 - B 11a/7a AL 72/06 R, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Hiervon abgesehen, lassen sich die Anforderungen an die erwähnten Hinweis- und Belehrungspflichten des SGB III wegen der unterschiedlichen Funktionen der Informationspflichten und der unterschiedlichen rechtlichen Regelungen nicht übertragen. Vorliegend geht es nicht um die Rechtfertigung von Eingriffen in regelmäßig bereits erworbene Rechtspositionen, sondern lediglich um die vorübergehende Gewährung zusätzlicher Leistungen aus Gründen zeitlich begrenzten Bestandsschutzes (vgl Kalhorn in Hauck/Noftz, SGB II, § 22 RdNr 32; zu § 29 SGB XII Hessisches LSG, Beschluss vom 5. Januar 2007 - L 9 SO 82/06 ER). Aus dem Verständnis einer Zumutbarkeitsregelung heraus (vgl auch Lang/Link in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl, § 22 RdNr 60a f) ist es im Regelfall ausreichend, dass der Hilfebedürftige den angemessenen Mietzins und die Folgen mangelnder Kostensenkung kennt. Mehr braucht folglich nicht Gegenstand eines Hinweises des zuständigen Trägers zu sein. Weitergehende Handlungsanweisungen (Lauterbach in Gagel, SGB III mit SGB II, § 22 SGB II RdNr 49; anders für den Regelfall noch ders in NJ 2006, 488, 492) sind - auch unter Vertrauensschutzgesichtspunkten - entbehrlich. Es steht dem Hilfebedürftigen im Rahmen eigenverantwortlichen Handelns (vgl § 1 Abs 1 Satz 1, § 2 SGB II) frei, bei weitergehendem Informationsbedarf ggf bei dem Leistungsträger nähere Einzelheiten, zB wie sich der Betrag im Einzelnen errechnet und ob ein früherer Wohngeldbezug rechtliche Relevanz hat, zu erfragen.
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Ich könnte freundlich, aber wozu? :6:
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marsupilami
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Re: BSG Kostensenkungsverfahren B 11b AS 41/06 R

#2

Beitrag von marsupilami »

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