Tragfähig, was heißt das eigentlich?
Verfasst: Mo 7. Nov 2011, 13:18
Ich hatte heute das höchst zweifelhafte Vergnügen, den Beistand bei einem JC-Besuch zu mimen.
Großes, aber bei diesem Termin nicht weiter auszuarbeitendes Thema:
Das JC möchte gerne die "Tragfähigkeit" eines kleinen Gewerbebetriebs prüfen lassen, natürlich für teures Geld, extern und ohne jeden Rechtsgrund, denn es wurden keine Mittel nach §§ 16b/16c SGB II beantragt.
Da aber dieses Wort "Tragfähigkeit" so wichtig und bedeutend klingt, liebt der JC-SB an sich dieses Wort sehr und neigt zu extensivem Gebrauch desselben.
Also stellt sich die Frage - was heißt das denn überhaupt? Wann ist ein Betrieb tragfähig?
Nach überwiegender JC-Interpretation des Wortes, ist die Tragfähigkeit gegeben, wenn der Gewerbegewinn den Bedarf der gesamten BG decken kann - so ließ man es auch heute zart anklingen.
Das kann aber wohl nicht sein, dass die Tragfähigkeit des Gewerbes von der Familiengröße des Gewerbetreibenden abhängig ist.
Wie so oft, hilft ein Blick in das Gesetz hier deutlich weiter:
Der Begriff tragfähig bzw. Tragfähigkeit taucht im SGB II nur im § 16c SGB II auf. Dort heißt es im Absatz 1 Satz 1:
Das entscheidende Wörtchen hier ist, wie bei juristischen Texten so häufig klein und unscheinbar. Es ist das Wörtchen "und".
Leistungen nach § 16c SGB II kann es nur geben, wenn das Gewerbe einerseits tragfähig ist und andererseits in der Prognose zu erwarten ist, dass die Hilfebedürftigkeit überwunden oder vermindert wird.
Heißt also, Tragfähigkeit bedeutet keineswegs: Das Gewerbe muss ermöglichen, das ich meine Brötchen von den Gewinnen kaufen kann – Kostendeckung sollt also völlig reichen, damit Tragfähigkeit vorliegt!
Und weil's so schön ist, wird das auch in der Literatur so gesehen und in der Rechtsprechung:
Sächsisches LSG, Beschluss vom 13. Oktober 2009, Az.: L 3 AS 318/09 B ER Rn27
LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 8. Juni 2011, Az.: L 25 AS 538/10 Rn33-35 letztlich offen gelassen
Thie in Münder, SGB II, 3. Auflage 2009, § 16c, Rn. 3
Voelzke, in Hauck/Noftz, K § 16c, Rn. 16a
der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass es natürlich auch andere Ansichten dazu gibt, aber meines Wissens keine, die Tragfähigkeit an die Bedarfsdeckung koppelt. Die abweichenden Ansichten sagen letztlich nur, reine Kostendeckung reicht nicht, es muss ein Gewinn raus kommen, der aber natürlich ganz klein und zart sein darf.
Um das zu vervollständigen aus meinem Posting in einem anderen Forum:
Zum Thema Tragfähigkeit = Kostendeckung noch als zusätzliche Argumente:
Ebenso:
LSG NRW - L 7 AS 1884/12
Sächsisches LSG - L 3 AS 318/09 B ER (oben bereits verlinkt)
Stölting in Eicher, § 16c Rn. 14;
Thie in LPK-SGB II, § 16c Rn. 2;
Harks in jurisPK-SGB II, § 16c Rn. 25
Anders jedoch Tragfähigkeit = Überwindung der Hilfebedürftigkeit:
Breitkreuz in Löns/Herold-Tews, SGB II § 16c Rn. 4
Harich in BeckOK, § 16c Rn. 6;
Hengelhaupt in Hauck/Noftz, § 16b Rn. 108 (Interessant, dass im gleichen Kommentar s.o. diese Frage für den § 16c von einem anderen Kommentator genau anders gewertet wird)
Großes, aber bei diesem Termin nicht weiter auszuarbeitendes Thema:
Das JC möchte gerne die "Tragfähigkeit" eines kleinen Gewerbebetriebs prüfen lassen, natürlich für teures Geld, extern und ohne jeden Rechtsgrund, denn es wurden keine Mittel nach §§ 16b/16c SGB II beantragt.
Da aber dieses Wort "Tragfähigkeit" so wichtig und bedeutend klingt, liebt der JC-SB an sich dieses Wort sehr und neigt zu extensivem Gebrauch desselben.
Also stellt sich die Frage - was heißt das denn überhaupt? Wann ist ein Betrieb tragfähig?
Nach überwiegender JC-Interpretation des Wortes, ist die Tragfähigkeit gegeben, wenn der Gewerbegewinn den Bedarf der gesamten BG decken kann - so ließ man es auch heute zart anklingen.
Das kann aber wohl nicht sein, dass die Tragfähigkeit des Gewerbes von der Familiengröße des Gewerbetreibenden abhängig ist.
Wie so oft, hilft ein Blick in das Gesetz hier deutlich weiter:
Der Begriff tragfähig bzw. Tragfähigkeit taucht im SGB II nur im § 16c SGB II auf. Dort heißt es im Absatz 1 Satz 1:
Leistungen zur Eingliederung von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die eine selbständige, hauptberufliche Tätigkeit aufnehmen oder ausüben, können nur gewährt werden, wenn zu erwarten ist, dass die selbständige Tätigkeit wirtschaftlich tragfähig ist und die Hilfebedürftigkeit durch die selbständige Tätigkeit innerhalb eines angemessenen Zeitraums dauerhaft überwunden oder verringert wird.
Das entscheidende Wörtchen hier ist, wie bei juristischen Texten so häufig klein und unscheinbar. Es ist das Wörtchen "und".
Leistungen nach § 16c SGB II kann es nur geben, wenn das Gewerbe einerseits tragfähig ist und andererseits in der Prognose zu erwarten ist, dass die Hilfebedürftigkeit überwunden oder vermindert wird.
Heißt also, Tragfähigkeit bedeutet keineswegs: Das Gewerbe muss ermöglichen, das ich meine Brötchen von den Gewinnen kaufen kann – Kostendeckung sollt also völlig reichen, damit Tragfähigkeit vorliegt!
Und weil's so schön ist, wird das auch in der Literatur so gesehen und in der Rechtsprechung:
Sächsisches LSG, Beschluss vom 13. Oktober 2009, Az.: L 3 AS 318/09 B ER Rn27
LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 8. Juni 2011, Az.: L 25 AS 538/10 Rn33-35 letztlich offen gelassen
Thie in Münder, SGB II, 3. Auflage 2009, § 16c, Rn. 3
Voelzke, in Hauck/Noftz, K § 16c, Rn. 16a
der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass es natürlich auch andere Ansichten dazu gibt, aber meines Wissens keine, die Tragfähigkeit an die Bedarfsdeckung koppelt. Die abweichenden Ansichten sagen letztlich nur, reine Kostendeckung reicht nicht, es muss ein Gewinn raus kommen, der aber natürlich ganz klein und zart sein darf.
Um das zu vervollständigen aus meinem Posting in einem anderen Forum:
Zum Thema Tragfähigkeit = Kostendeckung noch als zusätzliche Argumente:
Ebenso:
LSG NRW - L 7 AS 1884/12
Sächsisches LSG - L 3 AS 318/09 B ER (oben bereits verlinkt)
Stölting in Eicher, § 16c Rn. 14;
Thie in LPK-SGB II, § 16c Rn. 2;
Harks in jurisPK-SGB II, § 16c Rn. 25
Anders jedoch Tragfähigkeit = Überwindung der Hilfebedürftigkeit:
Breitkreuz in Löns/Herold-Tews, SGB II § 16c Rn. 4
Harich in BeckOK, § 16c Rn. 6;
Hengelhaupt in Hauck/Noftz, § 16b Rn. 108 (Interessant, dass im gleichen Kommentar s.o. diese Frage für den § 16c von einem anderen Kommentator genau anders gewertet wird)