Herabsetzungen nach 11b Abs. 1 SGBII nicht für Vorjahreszahlungen?

Rund um Selbstständigkeit unter ALG II.
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tigerlaw
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Re: Herabsetzungen nach 11b Abs. 1 SGBII nicht für Vorjahreszahlungen?

#51

Beitrag von tigerlaw »

Olivia hat geschrieben: Di 6. Sep 2022, 21:37 Das ist nicht der Punkt, um den sich mein Posting dreht. Eine Zahlung in Höhe der voraussichtlichen Einkommensteuer wäre in jedem Fall angemessen gewesen, ganz egal ob freiwillig geleistet oder auf vorherige Anfrage beim Finanzamt auf den dann erfolgenden Einkommensteuervorauszahlungs-Änderungsbescheid hin.
Ich glaube, Oli, dass @deadpool schon richtig liegt.

Dein Ansatzpunkt greift auf den Aspekt des "Beratungsverschuldens" des JC zu. Aber wenn "der Sachbearbeiter" sagt, dass ihm sich dieses mögliche Problem nicht aufgedrängt hätte und er somit keinen Anlass gehabt hätte zu einer Beratung zugunsten des eLB, hättest Du vermutlich einen schweren Stand, dies zu Deinen Gunsten durchzufechten.
Ich darf sogar beraten - bei Bedarf bitte PN!
Olivia
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Re: Herabsetzungen nach 11b Abs. 1 SGBII nicht für Vorjahreszahlungen?

#52

Beitrag von Olivia »

Das ist wohl leider wahr.

Das Problem k?nnte aber durchaus noch Kreise ziehen. Und zwar dann, wenn die Jobcenter auch anderen selbst?ndigen Aufstockern die Anerkennung von Einkommensteuer-Nachzahlungen verweigern wegen der Corona-Hilfen, die sich zun?chst gewinnerh?hend ausgewirkt hatten und erst jetzt, d.h. mit zeitlichem Versatz, zu einer entsprechenden Einkommensteuerzahlung f?hren.

Von den Hilfsgeldern selbst wird da nicht mehr viel ?brig sein. Das Geld ist verbraucht worden. Ausgegeben f?r den Lebensunterhalt, f?r Mietzahlungen, f?r Wareneink?ufe, f?r Investitionen....... kaum jemand wird da R?cklagen f?r eine Steuernachzahlung gebildet haben, zumal Gewinnr?cklagen im SGB II und im "System EKS" generell verboten sind.
Deadpool
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Re: Herabsetzungen nach 11b Abs. 1 SGBII nicht für Vorjahreszahlungen?

#53

Beitrag von Deadpool »

Olivia hat geschrieben: Di 6. Sep 2022, 21:37 Das ist nicht der Punkt, um den sich mein Posting dreht. Eine Zahlung in Höhe der voraussichtlichen Einkommensteuer wäre in jedem Fall angemessen gewesen, ganz egal ob freiwillig geleistet oder auf vorherige Anfrage beim Finanzamt auf den dann erfolgenden Einkommensteuervorauszahlungs-Änderungsbescheid hin.
Aber natürlich ist das der Punkt. Freiwillige Zahlungen sind unrelevant. Dann könnte ja jeder nach eigenem Ermessen seinen Bedarf erhöhen oder sein Einkommen mindern, wenn das so einfach wäre.
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Re: Herabsetzungen nach 11b Abs. 1 SGBII nicht für Vorjahreszahlungen?

#54

Beitrag von Olivia »

Deadpool hat geschrieben: Mi 7. Sep 2022, 00:55 Aber natürlich ist das der Punkt.
Eine sachgerechte Erhöhung der Einkommensteuer-Vorauszahlung auf die Höhe der erwarteten Einkommensteuer-Schuld (und nicht darüber hinaus) ist eine notwendige und angemessene Betriebsausgabe. Wenn das Finanzamt Selbstzahlungen anerkennt, dann kann das Jobcenter diesen Fakt nicht einfach für das Sozialrecht ausklammern.
Freiwillige Zahlungen sind unrelevant.
Ein Änderungsbescheid des Finanzamtes wäre natürlich besser, da gebe ich Dir recht.
Dann könnte ja jeder nach eigenem Ermessen seinen Bedarf erhöhen oder sein Einkommen mindern, wenn das so einfach wäre.
Es geht nicht um die Erhöhung des Bedarfs nach eigenem Ermessen, sondern um die von der Höhe her passende Vorauszahlung von Einkommensteuer, die sich dann bedarfsmindernd auswirkt. Eine zu niedrige Einkommensteuer-Vorauszahlung stellt eine finanzielle Fehlsteuerung des Unternehmens dar, die sich nachteilig auf das Unternehmen auswirkt. Im Rahmen einer Selbständigkeit sind fortlaufend finanzielle Entscheidungen zu treffen. Grundsätzlich gilt, dass bei Selbständigen immer ein gewisser Gestaltungsspielraum vorliegt, genau wie im Steuerrecht auch gewisse Spielräume bestehen. Der Selbständige ist verpflichtet, Schaden von seinem Unternehmen abzuwenden, und zwar selbst und ständig.
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Re: Herabsetzungen nach 11b Abs. 1 SGBII nicht für Vorjahreszahlungen?

#55

Beitrag von Deadpool »

Wenn das Finanzamt Selbstzahlungen anerkennt, dann kann das Jobcenter diesen Fakt nicht einfach für das Sozialrecht ausklammern.
Aber natürlich kann es das. Es ist ja noch nichtmal an die steuerrechtlichen Vorschriften gebunden (§ 3 Abs. 2 ALG II-V).
Es geht nicht um die Erhöhung des Bedarfs nach eigenem Ermessen, sondern um die von der Höhe her passende Vorauszahlung von Einkommensteuer, die sich dann bedarfsmindernd auswirkt.
Dann muss der Selbständige auf eine Änderung des Einkommensteuervorauszahlungsbescheides hinwirken. Ohne konkrete Forderung wird das Jobcenter die Zahlung nicht berücksichtigen. Das ist ähnlich der Absetzung von Unterhalt. Da mag privatrechtlich bereits eine Inverzugsetzung erfolgt sein, aber ohne Titel wird nichts abgesetzt. Und bis ein Titel erwirkt wird, können auch Monate oder Jahre hingehen, so dass ein ALG 2-bedürftiger Unterhaltsschuldner nicht unwesentlich Schulden aufbauen kann. Kein Titel bzw. (hier) keine konkrete Forderung = keine Berücksichtigung.
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Koelsch
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Re: Herabsetzungen nach 11b Abs. 1 SGBII nicht für Vorjahreszahlungen?

#56

Beitrag von Koelsch »

Bin, in anderem Fall, gespannt, wie JC reagieren wird. Vermutlich im laufenden BWZ wird lt. StB erwartet
ESt.-Bescheid für 2020 über ca. € 6.000
und Gewerbesteuer 2020 über ca. 4.000.
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Re: Herabsetzungen nach 11b Abs. 1 SGBII nicht für Vorjahreszahlungen?

#57

Beitrag von Koelsch »

Ich hol das Thema noch einmal nach vorne, nicht ganz zu Unrecht sagt man mir ja einen leichten Dickkopf nach.

Die hier zitierte Rechtsprechung sagt also, der sv-pflichtig Beschäftigte bekommt die Lohnsteuer monatlich "brav" von seinem Bruttoeinkommen abgezogen. Der "arme" Selbständige aber verdient fröhlich ein Jahr über = 2 BWZ Geld, wenn dann aber frühestens im 3. BWZ die ESt.-forderung auf ihn zukommt, dann ist das sein Privatvergnügen, die darf er nicht mehr vom Einkommen absetzen.

Rechnen wir mal ein fiktives Beispiel durch:
eLB alleinerziehend mit 1500 brutto bzw. 1500 Gewinn / Monat. Der Einfachheit halber habe ich bei der Berechnung mal darauf verzichtet, Sozialabgaben (KV, DRV, AL-Versicherung etc) zur berücksichtigen, ich hab nur die Steuer genommen und die mit monatlich € 43,83 angesetzt.

Der Lohnempfänger (wohnhaft in München) hat dann folgenden ALG II Anspruch
ALG2-Berechnung-ESt.-Anrechnung Lohn.pdf
Beim Selbstständigen sieht es so aus
ALG2-Berechnung-ESt_Selbständig.pdf
also
219,71 € ALG II Anspruch Lohnempfänger
175,88 € ALG II Anspruch Selbständiger
..43,83 € Differenz x 12 Monate =

525,96 €/Jahr bekommt der Lohnempfänger mehr an ALG II als der aufstockende Selbstständige.

Bleibt nur Christian Morgenstern zu zitieren:
.... so schließt er messerscharf,
nicht sein kann, was nicht sein darf
Du hast keine ausreichende Berechtigung, um die Dateianhänge dieses Beitrags anzusehen.
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Re: Herabsetzungen nach 11b Abs. 1 SGBII nicht für Vorjahreszahlungen?

#58

Beitrag von tigerlaw »

Ich denke, dass das ein Betrag ist, für den zu streiten es sich lohnt :gaga:
Ich darf sogar beraten - bei Bedarf bitte PN!
Deadpool
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Re: Herabsetzungen nach 11b Abs. 1 SGBII nicht für Vorjahreszahlungen?

#59

Beitrag von Deadpool »

Was ist mit Einkommensteuervorauszahlungen? Auch ein AN leistet doch laufend nur Vorauszahlungen. Die richtige Steuerschuld wird erst nach Erklärung ermittelt und etwaige Nachzahlungen werden nicht vom Jobcenter berücksichtigt. Da ist doch kein Unterschied zum Selbständigen?
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Re: Herabsetzungen nach 11b Abs. 1 SGBII nicht für Vorjahreszahlungen?

#60

Beitrag von Koelsch »

Ja, aber der Selbständige erhält üblicherweise keinen Vorauszahlungsbescheid (außer er liegt in Steuerbereichen, in denen ALG II für ihn ohnehin nicht in Frage kommt. Mein selbständiger Sohn z.B. muss monatliche ESt.-Vorauszahlungen leisten) und dadurch eben kommt es de facto durchaus zu einer Ungleichbehandlung, wie in meinem Beispiel dargestellt.
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Re: Herabsetzungen nach 11b Abs. 1 SGBII nicht für Vorjahreszahlungen?

#61

Beitrag von Qnetz »

In dem Beispiel wäre aber eine Einkommensteuervorauszahlung zu leisten. Sowohl der vieteljährliche Betrag liegt mit 3 * 43,83€ = 131,49€ über 100€ als auch der jährliche Betrag liegt mit 12 * 43,83€ = 525,96€ über 400€. Siehe § 37 EStG (5). Die Vorauszahlung würde nur bei einer Einkommsteuer von unter 33,33€ entfallen.
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Re: Herabsetzungen nach 11b Abs. 1 SGBII nicht für Vorjahreszahlungen?

#62

Beitrag von Koelsch »

Mag sein, aber hier geht's um das Prinzip nicht um einen fiktiven Einzelfall
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Re: Herabsetzungen nach 11b Abs. 1 SGBII nicht für Vorjahreszahlungen?

#63

Beitrag von HarzerUrvieh »

Deadpool hat geschrieben: Sa 24. Sep 2022, 17:37 Was ist mit Einkommensteuervorauszahlungen? Auch ein AN leistet doch laufend nur Vorauszahlungen. Die richtige Steuerschuld wird erst nach Erklärung ermittelt und etwaige Nachzahlungen werden nicht vom Jobcenter berücksichtigt. Da ist doch kein Unterschied zum Selbständigen?
Doch, da gibt es Unterschiede.

Dem Arbeitnehmer wird, in Verantwortung des Arbeitgebers, durch den Arbeitgeber die vorraussichtliche Einkommenssteuerschuld monatlich ausgerechnet und (ich meine quartalsweise) ans Finanzamt abgeführt. Eine größere Nachforderung kann dann nur aus anderem Einkommen entstehen.

Der Selbstständige leistet Vorrauszahlungen, die u.a. auf dem letzten Einkommenssteuerbescheid basieren. Dieser Bescheid kann mehrere Jahre alt sein und spiegelt selten das aktuelle Einkommen wieder. Selbst dann, wenn der Selbstständige regelmäßig seine Vorrauszahlungen anpassen lässt, kann es z.B. durch eine einzige große Kundenzahlung zu einer mehrere tausend Euro hohen Einkommenssteuer-Nachforderung kommen. Noch schlechter, wenn die Rechnung für eine große Investition erst im Folgejahr zugestellt wird, usw. usf.

Die möglichen Summen sind also sehr unterschiedlich und, die Wahrscheinlichkeit einer Nachforderung ist deutlich unterschiedlich.
Licht ist schneller als Schall. Deshalb wirken manche Menschen hell, bis man sie sprechen hört.
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