Mangelnde Beratung, daher kein Antrag gestellt

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Koelsch
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Mangelnde Beratung, daher kein Antrag gestellt

#1

Beitrag von Koelsch »

Wurde heute von dritter Seite darauf angesprochen.

voll erwerbsgeminderte Frau bezieht in 2023 GruSi.
Im September zieht sie mit einem Bürgergeld beziehenden Mann zusammen und teilt dies pflichtgemäß bei einem Termin dem Gruselamt SB mit. Dieser stellt sofort ab September ihre Leistungen ein, es erfolgte keinerlei Hinweis, dann müsse der Mann ab sofort beim JC eine BG anmelden. Erst im Dezember 23 erging dann der Einstellungsbescheid des Gruselamts. Erst jetzt wandten die Beiden sich an eine Beratungsstelle. Diese möchte mittels Ü-Antrag oder sonst irgendwie erreichen, dass die Frau rückwirkend ab September 23 Leistungen bezieht.

Sehr Ihr da Wege?
Frei nach Hanns-Dieter Hüsch, ist der Kölner überhaupt zu allem unfähig. Er weiß nix, kann aber alles erklären.
Deshalb kann von mir keine Rechtsberatung erfolgen, auch nicht per e-mail oder PN.
Olivia
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Re: Mangelnde Beratung, daher kein Antrag gestellt

#2

Beitrag von Olivia »

Ich meine mich zu erinnern, dass Tigerlaw mal was von verwaltungsrechtlichem Herstellungsanspruch oder so ähnlich schrieb, wenn fehlerhafte Beratung vorliegt. Aber das soll schwer zu beweisen sein.

Ein nicht so schöner Punkt ist, dass die Zwischenzeit ja irgendwie überbrückt wurde (finanziell). D.h. das Jobcenter könnte auf § 7 SGB II verweisen, dass keine Hilfebedürftigkeit vorlag, nachdem offenbar das fehlende Geld auf dem Konto "nicht bemerkt wurde".
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kleinchaos
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Re: Mangelnde Beratung, daher kein Antrag gestellt

#3

Beitrag von kleinchaos »

Dazu hab ich gestern folgenden Fall auf den Tisch bekommen:

eLB zieht vor 3 Jahren von L an die Ostsee. Meldet dem JC in L knapp 3 Wochen vorher den Umzug. Zieht Ende Juli um.
Gleich am Anfang August geht sie zum dortigen JC und will sich anmelden. Stellt aber morgens fest, dass L nochmal gezahlt hat. Sie teilt das im neuen JC mit, sie will ja nicht betrügen und doppelt kassieren. Jobcenter P sagt, na dann machen wir Ihren Antrag erst ab September.
Paar Monate später kommt von L wie erwartet die Rückforderung, aber P beruft sich auf Antragstellung September, der August ist also weg inkl KV.

Inzwischen ging die Forderung von L an den Zoll. Dort wurde die Zahlungsunfähigkeit erklärt.
Gestern kam wieder was vom Zoll für L. Ein Anruf brachte das Ergebnis, dass die Summe gezahlt worden wäre, L aber nochmal prüfen wolle ob gezahlt werden könnte. ???
Noch ein Anruf später beim JC in P: in der Akte ist vermerkt, dass sie Anfang August vorsprach und dass aufgrund der Zahlung aus L erst ab September beantragt würde.

Ich hab die Dame seit mehreren Jahren in der Beratung. JC L hat damals so lange mit den Nachzahlungen aus BK-Abrechnungen geschlampt, bis es zur Kündigung wegen Mietschulden kam. Die Kaution war damit natürlich auch futsch. JC L hat keinerlei Umzugskosten gezahlt.
Das JC P hat meiner Meinung nach eine Falschberatung gemacht. Richtig wäre gewesen, eLB zu sagen, dass sie das erhaltene Geld sofort zurücküberweisen müsse und die Antragstellung ab August in P vornimmt. So hatte ich es ihr auch geraten. P hat wohl mal einen Monat sparen wollen.

So: da der Eintrag von August in der Akte drin ist, lässt sich die Falschberatung ja nachweisen. Ü-Antrag nach § 44 SGB X geht zwar noch, aber daraus gezahlt werden müsste wohl nicht mehr. Wie aber ist es mit der Amtshaftung? Oder, wie Oli schreibt, verwaltungsrechtlicher Wiederherstellungsanspruch?

Aktuell ist es ja so, dass sie 1 Monat zurückzahlen soll (was ja auch unstrittig ist, da Bedarf in L ja nicht mehr gegeben war) aber in P für den Monat nix bekommen hat. Also vorsätzlich oder fahrlässig hat sie nicht betrogen. Das kann ihr keiner vorwerfen. Aber von nix für nix 1 Monat zurückzahlen geht gar nicht
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Olivia
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Re: Mangelnde Beratung, daher kein Antrag gestellt

#4

Beitrag von Olivia »

Ein unfassbarer Fall. Die einfache Lösung wäre: Jobcenter P ruft kurz bei Jobcenter L an und vergewissert sich, dass dort Rückzahlung gefordert wird für den Monat August. Dann Nachzahlung für diesen Monat und fertig. eLB hat dann das Geld für die Tilgung der Rückforderung. Da aber keiner richtig mitdenkt und kein guter Wille da ist, bleibt alles beim eLB kleben mit den beschriebenen Folgen. :kotz:
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kleinchaos
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Re: Mangelnde Beratung, daher kein Antrag gestellt

#5

Beitrag von kleinchaos »

Genauso ist es
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marsupilami
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Re: Mangelnde Beratung, daher kein Antrag gestellt

#6

Beitrag von marsupilami »

Zurück zur Frage im Eingangsposting.
Ich denke es gibt nur die Möglichkeit: Überprüfungsantrag - mit Hinweis auf Nicht- bzw. Falschberatung.

Oder direkt Klage.
Aber das wäre vermutlich gleich Verwaltungsgericht - und das ist bekanntlich heikel.
Signatur?
Muss das sein?
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tigerlaw
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Re: Mangelnde Beratung, daher kein Antrag gestellt

#7

Beitrag von tigerlaw »

"Sozialrechtlicher Herstellungsanspruch" ist aber ebenfalls nur inerhalb der Fristen des § 44 SGB X (hier durch SGB II modifiziert: rückwirkend bis Anfang 2023, alles was davor liegt ist "in Beton gegossen") möglich.

--> Staatshaftungsanspruch an das LG. Fraglich nur, wer den Fehler gemacht hat: JC P, Falschberatung? oder JC L, übliche Bummeligkeit? So gerne ich auch das JC L in der Beklagtenposition sehe: Anspruch dürfte gegen JC P zu richten sein.

Und Achtung: Normalerweise ist bis 5.000 € das AG zuständig, bei Staatshaftungssachen aber immer das LG (so wie umgekehrt immer das AG für Wohnungsmietsachen, auch bei Streitwerten > 5 T€)!
Ich darf sogar beraten - bei Bedarf bitte PN!
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kleinchaos
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Re: Mangelnde Beratung, daher kein Antrag gestellt

#8

Beitrag von kleinchaos »

Richtig, der Anspruch geht gegen JC P. 1. zeitlich zuständig, und eLB hat ja zu dem Zeitpunkt bereits dort gewohnt, laut Meldebestätigung.
2. L hat zwar gebummelt, aber nicht ganz so lange.

Im Übrigen hatte ich heute wieder so einen Fall von Falschberatung. Szenario wie oben. ELB zieht um, sagt rechtzeitig beim alten JC Bescheid bzw meldet such ab. Neues JC freut sich, braucht es doch nicht zu zahlen, Bedarf gedeckt. Und dann: Da brauchen Sie sich keine Gedanken zu machen, das wird intern verrechnet.
Ja und der Mond ist ein Klappstuhl
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